Der seit Jahren anhaltende Engpass an qualifizierten Mitarbeiter/innen und Berufsträger/innen hat viele Unternehmen – und so auch die steuerberatende Branche – beim Thema Mitarbeitergewinnung zum (kreativen) Umdenken gebracht: auf ansprechenden Kanzleihomepages werden die Vorzüge und „Leistungen“ der eigenen Arbeitgebermarke gepriesen, über Landing-Pages das Bewerben leicht bzw. niedrigschwellig gemacht und nicht zuletzt locken attraktive, zuweilen großzügige Konditionen für Neueinsteiger.
Leider sind trotz dieser Bemühungen noch immer etliche Kanzleien in Sachen professionelle Führung nicht auf der Höhe der Zeit und verlieren deshalb kurz- oder mittelfristig wieder mühsam neu angeworbene Mitarbeiter/innen.
Werden Erwartungen oder Versprechen aus der Anfangszeit enttäuscht, verlassen vor allem jüngere Kolleg/innen ihren Arbeitgeber – und heuern anderswo an. Das belastet finanziell und sorgt für unerwünschte, die Reputation schädigende Fluktuation.
Zudem sind etliche Kanzleien überaltert und nicht offen für Transformation, Digitalisierung oder KI. Beide Phänomene, unzeitgemäße Führung und veraltete Strukturen, sind ein veritables Hindernis, gute Mitarbeiter/innen von sich zu überzeugen und dauerhaft zu binden.
Es gilt: 1. Die ersten 100 Tage im neuen Job entscheiden!
Was würden Sie als Neuzugang erwarten, z.B. als frisch gebackener Steuerberater mit neuem Aufgabenfeld und neuen Mandaten? Vermutlich eine umfassende, gute Einarbeitung. So werden beim sog. On-Boarding, der Bereitstellung von Arbeitsmitteln, Einführung und Begleitung ins neue Arbeitsumfeld (z.B. über ein Mentoren-Programm) etc. sehr oft die Weichen gestellt, ob neue Mitarbeiter/innen langfristig bleiben oder bald wieder gehen. Für jede Arbeitgeber-Kanzlei ist daher diese Phase eine entscheidende Bewährungsprobe.
Es gilt: 2. Kanzleiführung gewinnt angesichts von mehr Technisierung weiter an Bedeutung, erfordert mehr emotionale Intelligenz
Führung und Persönlichkeit lassen sich nicht digitalisieren. Die notwendige Gesamtstrategie für Digitalisierung und KI-Einsatz sollten Mitarbeiter nicht nur kennen, sondern auch engagiert mittragen. Gemeinsam muss z.B. überlegt werden:
- In welche Richtung wollen/müssen wir unser Geschäft weiterentwickeln? Welcher Weg macht für unsere Kanzlei Sinn?
- Wo bilden sich neue, digitale oder KI-basierte Kontaktpunkte, die Neugeschäft bringen?
- Wie können alle „mit ins Boot geholt“, an Transformation und Innovation beteiligt werden?
Kanzleiführung gewinnt angesichts von mehr Technisierung weiter an Bedeutung, erfordert mehr emotionale Intelligenz. Was konkret bedeutet dies für Führungshandeln in „bewegten Zeiten“?
Empfehlungen für modernes (auch „KI-kompatibles“) Führungshandeln
- Mitarbeiter einbinden und vernetzen: Chefs von morgen setzen Rahmen
- Führung „orchestriert“ seine Mitarbeiter/innen im Team, behält die Anforderungen dort im Auge, sorgt für Verbindlichkeit und Regeln, schafft Synergien und vernetzt Kompetenzen. Die Anwendung und das Verständnis (!) für KI-basierte Tools erfordern neue Kompetenzen bei Mitarbeitern/innen, auch zum Einsatz beim Mandanten.
- eine zunehmend flexibilisierte, individualisierte und virtualisierte Arbeitswelt braucht alle in der Kanzleigemeinschaft: jeder einzelne muss eingebunden und befähigt, alle miteinander vernetzt werden.
- KI-basierte Kommunikations- und Kollaborationstools (Stichwort: Arbeiten „on remote“) können Führungskräfte dabei unterstützen, virtuelle Teams noch besser anzuleiten und effektiver zu führen.
- Zeitgemäße Führung ermöglicht und unterstützt Arbeiten „on remote“
Für Kanzleien besitzt das Arbeiten „on remote“ als Arbeitsform höchste Bedeutung für das Gewinnen neuer Mitarbeiter/innen und die langfristige Bindung der Mitarbeiter/innen an die Kanzlei. Eine komplette Rückkehr ins Büro für ausnahmslos alle scheint als Folge der Corona-Pandemie und des „Neuen Normal“ in der Arbeitswelt ausgeschlossen.
- Wertschätzung und Anerkennung: Kommunikation auf Augenhöhe
Die sog. „Herz-Qualitäten“ (Empathie, z.B. aktives und achtsames Zuhören) von Vorgesetzten werden von Mitarbeiter/innen als immer wichtiger bewertet. Viele Führungskräfte sind sich (möglicher) eigener Defizite ihrer zwischenmenschlichen Kompetenzen oft zu wenig bewusst. Traditionelle „Da musst-du-halt-durch“-Parolen werden sich bei den jüngeren Arbeitnehmergenerationen nicht mehr durchsetzen.Kanzleiinhaber/innen sollten die Emotionen ihrer Mitarbeiter nicht ignorieren. Emotionen sind es, die Menschen antreiben oder entmutigen.
Ob zukünftig KI-gestützte Tools die Kommunikation zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitenden verbessern, indem sie regelmäßiges Feedback automatisieren und Echtzeit-Daten zur Mitarbeiterzufriedenheit bereitstellen, sei noch dahingestellt. Selbst wenn Führungskräfte dadurch rascher auf Probleme reagieren könnten, werden Mitarbeitergespräche immer dem persönlichen Austausch vorbehalten bleiben, also Energie- und Zeitaufwand bedürfen.
- „Ermöglichen – zutrauen – anerkennen“
Ausbilden, also „hauseigene Eigengewächse“ heranzuziehen und weiterzuentwickeln, ist und bleibt für Kanzleien jeder Größe und Ausrichtung der mittel- bis langfristig wirksamste Weg aus dem Engpass. Denn eine spürbare (Rück-) Entwicklung vom Bewerber- hin zu einem Arbeitgeberarbeitsmarkt – ist in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.

